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In unserer westlichen Welt sind wir oft stolz, wie abstrakt wir denken können. Wir haben das in der Schule gelernt. Der Lehrer vermittelt Wissen auf intellektuellem Gebiet. Wahrheit ist ein Zustand, der nachprüfbar und ergründet werden kann. Für den Hebräer hat Wahrheit eine etwas andere Bedeutung: Etwas tun, nicht nur denken. Die Wahrheit muss gelebt werden.

 

Diese Ausarbeitung ist Teil der Artikelserie „Der Weg der Erlösung zurück zur Sabbatruhe.

 

 

Inhalt dieses Artikels               (Auf dieser Seite 4. Kapitel)

  1. Was ist Wahrheit - Biblisch-hebräisches Denken
  2. Von der hebräischen zur griechischen Bibel
  3. Die Denkwelt der antiken Hebräer und Griechen
  4. Wahrheit tun, Wahrheit geschieht
  5. Treu, barmherzig, zuverlässig, beständig = Gerechtigkeit
  6. Herzenswahrheit – ein Beziehungsgeschehen
  7. Wahrheitserfüllung einer Verheißung
  8. Wahrheit als sich entfaltender Plan in der Zeitgeschichte
  9. Leben in der Wahrheit – Ein dringender Appell

 

 

 

1.Johannes 16© Kasia / pixabay.com (Bibelvers hinzugefügt)Für das griechische Denken ist das „Sein“ ein Zustand, der in der Natur seinen Ausdruck findet. Für den Hebräer ist das Sein die von Gott geschaffene Wirklichkeit. Somit kann auch Wahrheit nicht etwas sein, was von Natur aus „ist“. Nach biblischem Verständnis kann Wahrheit nicht durch ein gedankliches Eindringen in die Tiefe gefunden werden. Wahrheit wird sich vielmehr in der Zukunft zeigen. Es ist keine Naturgesetzlichkeit, sondern eine vorher bestimmte sich erfüllende Handlung in einem einmaligen Ablauf nach JaHuWaHs gesetzter Rechtmäßigkeit.

Wie wir oben gesehen haben, ist das hebräische „Sein“ (haja) immer ein in Bewegung, Veränderung und Entwicklung befindliches Sein. So wie es ein statisches Sein nicht gibt, so ist auch der Begriff Wahrheit kein Begriff, der einen Zustand des Seins beschreibt. Vielmehr wohnt dem Wort Wahrheit ein Bewegen, Weiterentwickeln und Handeln inne. Man kann sagen: Wahrheit bringt den Plan des Schöpfers für die Menschen in der Zeitgeschichte zur Entfaltung und Vollendung.

Das haja (Sein) des Schöpfers bedeutet: Sein Handeln als Schöpfer und als Gott, der die Dinge ausführt, wie Er es verheißt (= Wahrheit). So besagt haja auch: „Ich werde mit dir sein“ (1. Mose 26,3; 28,20; 31,3.5; 35,3; 2. Mose 3,12; 4,12, etc.). Haja ist ein bedeutender Bestandteil des Namens unseres Gottes und Seines Sohnes: JHWH (siehe dazu: „Unser Schöpfer – wie ist Sein Name?“) Prachtvoll ist das haja des „Wortes JaHuWaHs“, das zu den Menschen „kommt“, wie beispielsweise in einer Version zu Abraham (1. Mose 15,1), zu Samuel (1. Samuel 15,10), zu Elijah (1. Könige 18,1.31), zu Jesaja (Jesaja 38,4) oder zu Jeremia (Jeremia 36,1).

Das „Wort“ JaHuWaHs kommt auf die Erde wie ein Regen, der die Erde „tränkt und befruchtet“ und wird nicht leer zu Ihm zurückkehren, bevor das geschehen ist (Jesaja 55,9-11). Dieses Wort, das von JaHuWaH ausgeht und im Alten Bund angekündigt wird, werden wir im nächsten Beitrag untersuchen. Vorläufig begnügen wir uns damit, dass das hebräische dabar (das Wort) nicht nur „Wort“ bzw. Sprechen bedeutet, sondern vor allem „Tat“ oder „Handlung“ (siehe z.B. 1. Mose 24,66). In Jesaja 55,11 handelt JaHuWaH durch Sein Wort in der Welt und an den Menschen. Für den Griechen ist das eher unverständlich. Für ihn ist Gott „Inbegriff der Natur“.

„Und die zweimalige Wiederholung des Traumes an den Pharao bedeutet, dass die Sache [dabar = Wort] vonseiten Gottes fest beschlossen ist und dass Gott eilt, sie zu tun.“ (1. Mose 41,32)

„Und er sprach zu ihnen: Warum tut ihr solche Dinge [dabar = Worte]? Denn ich höre diese eure bösen Handlungen vom ganzen Volk.“ (1. Samuel 2,23)

„Und das Übrige der Geschichte [dabar] Salomos und alles, was er getan hat, und seine Weisheit, ist das nicht geschrieben im Buch der Geschichte [dabar] Salomos?“ (1. Könige 11,41).

Hier wird das hebräische Wort dabar mit „Geschichte“ übersetzt. Das ist nachvollziehbar, weil das Wort mit der Handlung und dem (Zeit)geschehen identisch ist. Wort und Tat haben deshalb dieselbe Bedeutung, wobei die Handlung im Vordergrund steht, weil das Wort ohne die Handlung nicht Wahrheit ist.

„Und nun will ich dir die Wahrheit verkünden …“ (Daniel 11,2a). Man könnte hier auch schreiben „die Wahrheit, die ich verkündige, wird geschehen“, denn die folgende Weissagung hat sich bis Daniel 11, Vers 35 im Lauf der Geschichte erfüllt.

Liebe deinen NaechstenAuch das Wort für „Liebe“ hat nach hebräischem Verständnis weniger mit Gefühl oder Emotion als mehr mit einem Tätigwerden zu tun. So könnte man das Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, auch so übersetzen: „Liebe deinen Nächsten so, wie auch du geliebt werden möchtest“. Oder: „Behandle deinen Nächsten so, wie du selbst auch behandelt werden möchtest“. Die Bibel lehrt uns nicht, Gefühle zu haben, sondern etwas zu tun, zu handeln.

„Das Wort“ und „die Wahrheit“ stehen ebenfalls in enger Verbindung. „Wahrheit“, im Sinne des hebräischen Wortes ämät (אמת) ist vor allem ein Tun. Wahrheit will und muss getan werden. Es fällt in unseren Übersetzungen nur kaum auf, weil das Wort für „Wahrheit“ in vielen Fällen korrekt mit „Treue“ übersetzt wird.

„Wenn ... [JaHuWaH] uns dieses Land gibt, so wollen wir an dir Güte und Treue [ämät = Wahrheit ] erweisen!“ (Josua 2,14b)

„Wenn ihr nun treu [ämät; andere Übersetzung: in Wahrheit] und redlich gehandelt habt ...“ (Richter 9,16a)

„... So sollt ihr handeln in der Furcht ... [JaHuWaHs], in Wahrheit [ämät; andere Übersetzung: treu] und mit ungeteiltem Herzen.“ (2. Chronik 19,9)

Als Pilatus fragte „Was ist Wahrheit?“, antwortete JaHuWschuaH, indem Er schwieg. Er versuchte nicht, eine abstrakte Wahrheit zu erklären. Er war gekommen, um die Herrlichkeit des allmächtigen Vaters zu offenbaren. Im Gegensatz zum Griechen Pilatus würde der antike Hebräer nicht fragen: „Was ist Wahrheit?“ Oder „Welche Natur hat Gott?“ Die Frage muss vielmehr lauten: „Wie geschieht Wahrheit?“

So war es der Wunsch des Psalmisten, dass JaHuWaH ihm Seinen Weg lehren möge, damit er in Seiner „Wahrheit wandle“ (Psalm 86,11). Das heißt, der Weg der Wahrheit (ämät) ist der Bereich der Verheißungserfüllung JaHuWaHs. Bleiben wir auf Seinem Weg, wird sich Seine Verheißung „bewahrheiten“.

Das konnte der Römer Pilatus nicht verstehen, weil JaHuWschuaHs Wahrheit nichts Einzementiertes und Statisches ist. Die Wahrheit ist hautnah und persönlich. Die Wahrheit ist der Weg des Lebens – der Weg, der zur Quelle des Lebens führt. So ist auch unser Schöpfer kein statischer, weit entfernter und abstrakter Geistgott. Der Schöpfer ist eine dynamische, machtvolle, am Menschen interessierte, fürsorgliche und handelnde Person, die dem Menschen von Anbeginn nah ist und die Geschicke auf dieser Erde lenkt.

Die Wahrheit ist eine Frage des Vertrauens und des Glaubens und kein abstraktes Wissen. Das Wissen (nicht Wahrheit!) der alttestamentlichen Menschen drehte sich um die praktische Ethik, moralische Verantwortung und kultische Praktiken. Wahrheit ist mehr eine Angelegenheit des Herzens als des Verstandes.

Die Wahrheit im biblischen Sinne darf nicht mit „richtig“ im Gegensatz zu „falsch“ verwechselt werden. Viele von uns setzen Wahrheit mit „richtig“ und Lüge mit „falsch“ gleich. Das Gegenteil von Wahrheit ist nicht etwas „Falsches“, sondern die Ungerechtigkeit (2. Thessalonicher 2,12). Setzen wir Wahrheit mit falschen Aussagen gleich, so ist das kein wahrhaftiger Glaube, sondern eine Rechtgläubigkeit. Das, was dort steht und von den Kirchenlehrern ausgelegt wird, muss geglaubt werden, weil es richtig und damit die Wahrheit ist. Glaube wird so für den Gläubigen zu einer Leistung, die er zu erfüllen hat. Es ist ein geistloser und oft auch ein liebloser Glaube dem Buchstaben der biblischen Worte gemäß.

Wahrheit ist kein Wissen, das wir verstehen müssen und wenn wir sie verstanden haben, lehnen wir uns zufrieden zurück. Glaube ist auch kein „Fürwahrhalten“, nach dem Motto: Ich halte für wahr/richtig was da steht, und nehme es an. Oder: Das ist eine Lüge und lehne es somit als falsch ab. Ein solches Verständnis hat wenig mit biblischer Wahrheit zu tun.

Wahrheit ist vielmehr ein Vorgang des Vertrauens und der Treue. Die Wahrheit kommt zum Gläubigen und lebt in ihm. Die Wahrheit JaHuWaHs bringt Liebe zu den Menschen, so wie JaHuWschuaH die Liebe und die Wahrheit in Person sind. Er will eine Beziehung mit dem Menschen eingehen. Wenn der Mensch Sein Angebot annimmt, so ist das wahrhaftig gelebter Glaube.

Ein Mensch kann viel wissen und intellektuell richtigen Aussagen vertreten, und doch nicht wahrhaftig leben. Es ist dann ein Leben „in der Lüge“. Entsprechend gibt es Menschen, die aus Mangel besseren Wissens oder noch auf einer anderen Erkenntnisstufe stehend falsche Ansichten vertreten und doch von Herzen aufrichtig, treu und vertrauenswürdig sind. Sie sind wahrhaftig; sie leben „in der Wahrheit“. Dabei ist es für sie selbstverständlich, dass sie sich um richtige Aussagen bemühen und die Wirklichkeit unverfälscht und korrekt wiedergeben. Wahrhaftigkeit bedeutet auch, dass man sich selbst nicht täuscht. Das bedarf ein Forschen seines eigenen Herzens. Zum eigenen wahrhaftigen Leben gehören damit auch Selbstwahrnehmung, Selbsterkenntnis und Selbstkritik.

Indem wir die Bibel Wort für Wort auslegen und für völlig irrtumslos halten, bezeugen wir die Wahrheit nicht. Verteidigen wir die Bibel wortwörtlich, verteidigen wir tote Buchstaben. Das geschichtliche, dynamische und beziehungsgerichtete Wahrheitsverständnis wird dadurch zerstört. Die Folge ist: Wir werfen uns die Bibelworte gegenseitig lieblos und empathielos an den Kopf ohne Rücksicht auf menschliche Probleme. Biblische Wahrheit wird sich dem Leser auf diese Weise nicht erschließen. Es fehlt die persönliche Beziehung, das geistliche und geistgeführte Verständnis.

Wahrheit ist also nicht nur unser Reden und Schreiben, sondern vielmehr unser ganzes Leben. Und das bedeutet auch ein Leben in Liebe. Durch die Begegnung und die persönliche Beziehung mit JaHuWschuaH werden wir befähigt, wahrhaftig zu leben und können so die Wahrheit bezeugen. Eine Wahrheit ohne liebevolles Handeln gibt es in der Bibel nicht.

 

Verwendete Literatur

 

Nächstes Kapitel 5: Treu, barmherzig, zuverlässig, beständig = Gerechtigkeit

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